Wasserstoffperoxid und Sonnenblumen
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Artikel ID: 05
Wozu diese Angaben?
Es gibt so Tage....
an denen die gesamte Belegschaft einer Tierarztpraxis ihren Job hasst.
Dieser Tag war so einer.
Eigentlich begann er wie jeder Andere und ich machte meinen Rundgang durch die Praxis. An diesem Tag war keine Vormittagssprechstunde, weil 2 zeitaufwändige Operationen anstanden.
Während meine Cheffin mit der ersten Operation begann, richtete ich die Instrumente für die Nächste; als das Telefon klingelte.
Aus dem Höhrer vernahm ich ein kaum verständliches Schluchzen und brachte ersteinmal ein paar ruhige Worte an, innerlich mehr als froh grade ausnahmsweise mal nicht unter Zeitdruck zu stehen.
Wenige Worte später erkannte ich unsere Kundin Frau Bach, deren Pudel Max regelmäßig die Praxis aufmischte, im guten Sinne.
An diesem Morgen war Max unbemerkt aus der Terrassentür entwischt und durch das nicht richtig verschlossene Gartentor spaziert. Als er auf der anderen Straßenseite seinen guten Freund, den Briefträger sah zischte Max los, direkt vor ein Auto.
Ein wenig tröstete es mich, dass aus der zittrigen Erläuterung des Frauchens hervorging, das Max sofort tot gewesen sein muss. Wenigstens kein schmerzhafter, qualvoller Tod auf dem Beifahrersitz, während Herrchen/Frauchen mit durchgetretenem Gas noch versucht zum Tierarzt zu gelangen, wie es leider keine Seltenheit ist.
Das ist dann nicht nur schlimm für das Tier, sondern auch traumatisierend für den Halter.
Mäxchen auf jeden Fall liege nun in eine Decke gewickelt in ihrem Hauswirtschaftsraum, der Briefträger (wohl ein Freund der Familie) habe verhindert, dass sie ihn nocheinmal ansieht, er sei blutverschmiert und "völlig zerfetzt" wodrunter ich mir gar nichts vorstellen konnte und wollte.
Sie habe schon mit dem Tierbestatter, der die Einäscherung organisieren würde telefoniert, aber der könne Mäxchen erst am Abend abholen und sie könne es nur schwer ertragen ihr "zerfetztes Mäxchen" solange im Haus zu haben, außerdem machte sie sich verständlicher Weise Sorgen um ihre Kinder.
Zwar empfehlen wir grundsätzlich eher auch Kindern den Abschied von ihrem toten Kameraden zu ermöglichen, aber selbst bei intakten Leichen gibt es Kinder, die das nicht so gut verkraften und der Anblick eines überfahrenen, blutverschmierten Pudels ist wirklich weit weg von dem wovon ein Kind friedlich Abschied nehmen kann.
Wir vereinbaren, dass Mäxchen den Rest des Tages bei uns in der Praxis verbringen und dann abends vom Bestatter bei uns abgeholt werden soll.
Wenig später erscheint Frau Bach in Begleitung eines blutverschmierten, kreidebleichen Briefträgers, der mir ein, in eine große Decke eingewickeltes, Mäxchen überreicht.
Die Halterin übergibt mir noch eine Tüte mit Mäxchens Lieblingsdecke, gegen die ich die vollgeblutete "Packdecke" austauschen könne, falls der Bestatter ihn so nicht mitnähme.
Meine Cheffin nimmt Halterin und Briefträger mit in die Teeküche und läßt beide bei einem Kaffee ein bischen zur Ruhe kommen ehe sie sich bei dem Gedanken sie heimfahren zu lassen wohl fühlt.
Nach der zweiten Op fährt meine Cheffin wie üblich ihre Tochter von der Schule abholen und daheim das Essen vorbereiten, um dann zur Nachmittagssprechstunde zurückzukehren.
Meine Aufgabe besteht in diesen Stunden darin, den OP und die Instrumente schnellstmöglich wieder einsatzbereit zu machen, falls ein Notfall kommt, dann habe auch ich Zeit für ein Mittagessen.
Nachdem der OP wieder verfügbar ist möchte ich mich auch eben von Mäxchen verabschieden. Als ich die "Packdecke" abwickel merke ich, dass die Hundehalterin nicht übertrieben hat.
Das einst mehr oder weniger weiße Pudelchen ist blutverkrustet, hat die Augen weit aufgerissen und am Köpfchen klaffen zwei hässliche Wunden.
So werde ich das Mäxchen nicht auf seine letzte Reise schicken, das ist mal sicher.
Aus dem "Übungsschrank für Angestellte" besorge ich mir ein bischen abgelaufenes Nahtmaterial, aus dem Lager hole ich Wasserstoffperoxid. Die praxisübliche 3%ige Zubereitung bleicht nicht, eigenet sich aber hervoragend als Blutlöser.
Langsam, aber für meine minimalen Fähigkeiten gar nicht so übel, nähe ich Mäxchens Wunden zu, mit Hilfe von ziemlich viel Wasserstoffperoxid und Leitungswasser wasche ich das Blut aus seinen Locken.
Nachdem ich ihn trockengerubbelt, etwas gefönt und ein bischen gebürstet habe schaut er schon wieder eher nach Mäxchen aus.
Einige Tropfen Sekundenkleber schließen seine Augen für immer zu einer friedlichen Miene (ein Trick dessen ich mich auch gerne bediene, wenn verstorbene Tiere von ihren Haltern mitgenommen und daheim bestattet oder selbst zum Einäschern gebracht werden).
Als ich ihn dann schließlch in seine Lieblingsdecke kuschel bin ich zwar immernoch hungrig, kann den Gedanken, dass Mäxchen nie wieder mit dem Ball in der Schnute zur Türe reingeturnt kommen wird aber deutlich besser akzeptieren, dafür reicht dann auch ein Notfallmüsliriegel.
Da gegen Ende der langen Dienstagnachmittagssprechstunde erfahrungsgemäß weniger los ist und nicht selten der Lebensgefährte meiner Cheffin mit anpackt endet mein Dienst etwa eine Stunde vor Sprechstundenende, an Tagen wie diesen kann es mir eh nicht schnell genug gehen bis ich meine eigenen Fellgesichter wieder in die Arme schließen kann.
Bevor ich gehe halte ich noch mit dem Tierbestatter telefonisch Rücksprache und erinnere meine Cheffin daran, dass er Mäxchen wie üblich etwa 10 Minuten nach Sprechstundenende abholen wird.
Daheim gehts erstmal los, mit meinen Jungs entlang der Rennstrecke, alle traurigen Gedanken sind fort, sobald die Jungs rennen und mir der Wind durchs Gesicht streicht.
Als ich mich für diesen Beruf entschied fürchtete ich mich vor Einschläferungen, das hat sich schnell geändert. Zu oft bin ich froh, dass es bei alten/leidenden Tieren diese Möglichkeit gibt sie in Frieden gehen zu lassen und grad bei älteren Tieren, die ein gutes Leben haben komme ich sehr gut damit klar, sogar wenn es meine eigenen sind.
Als Tierarzt/Tierarzthelfer arbeitet man nunmal viel mit alten/kranken Tiere und die sterben nunmal auch irgendwann.
Aber dagegen, dass es mich aus der Bahn wirft, wenn ein junges/gesundes Tier so sinnlos sein Leben lassen muss kann und will ich nichts tun, dennoch gehört es dazu auch mit soetwas fertig zu werden und am nächsten Morgen sieht die Welt schon wieder freundlicher aus.
Auf Arbeit geht alles seinen gewohnten Gang, vormittags freie Sprechstunde, Mittags Papierkram und bloß das Essen nicht vergessen und Nachmittags die Terminsprechstunde. Kurz vor Sprechstundenende reinige ich auf Station die Boxen, als die Türe aufgeht und ich meine Cheffin höre, wie sie sagt "Hier ist sie."
Als ich mich umdrehe steht Mäxchens Halterin vor mir, weinend mit einer Schachtel Pralinen in der einen und einer Sonnenblume in der anderen Hand. Wortlos nimmt sie mich in die Arme, schaut mich an und presst ein "Danke" über ihre Lippen. Dann reicht sie mir Pralinen und Blume, legt mir kurz die Hand auf die Schulter, schenkt mir ein trauriges aber warmes Lächeln und geht wieder.
Ich hingegen stehe etwas verdattert da, weiß nicht so recht wie ich das einordnen soll und verstehe ehrlich gesagt nur Bahnhof.
Ich spule den Vortag nochmal ab, morgens hat sie mich angerufen, da hab ich mir zwar Zeit genommen, aber das war nu nichts Besonderes. Als sie Mäxchen brachte war es meine Cheffin die erstmal Kaffee machte und als ich Mäxchen "hübsch" gemacht habe war sie längst wieder weg. Zwischen meinem Feierabend und Mäxchens Abholung war sie meines Wissens auch nicht nochmal in der Praxis, warum auch? Für die "Aufbewahrung" bis zur Abholung durch den Bestatter fallen keine Kosten an, die sie hätte zahlen können und dass sie Max nochmal sehen wollte schließe ich völlig aus zu entschlossen klang ihr "Ich behalte ihn im Herzen wie er war."
Dass ich ihn etwas "aufgehübscht" habe konnte sie eigentlich überhaupt nicht wissen.
Zum Glück ist es in der Praxis grad ruhig und so tapere ich mit meiner Sonnenblume, den Pralinen und einem vermutlich noch immer extrem "Nulldurchblick-Gesicht" in die Teeküche und frage meine Cheffin ob sie mich nicht mal aufklären könne, ihre Erklärung leuchtet ein:
Frau Bach hatte den Bestatter "vorgewarnt", ihm beschrieben, dass er einen weißen Pudel abholen solle, dem man sehr deutlich ansehe, dass er unter ein Auto gekommen sei.
Er hatte folglich auch einen entsprechenden Anblick erwartet, etwa den, der sich mir beim Öffnen der Decke geboten hatte.
Meine Cheffin erzählt mir weiter, dass er sichtlich verunsichert fragte ob das sicher der Hund der Frau Bach sei.
Da es nicht völlig ungewöhnlich ist solche Tiere nochmal zu waschen war meine Cheffin da weniger überascht und meinte nur, dass sie den Hund kenne, sich sicher sei und ihre Angestellte den kleinen Mann wohl für seine letzte Reise etwas schick machen wollte.
Während Frau Bach uns gegenüber nur gesagt hat sie wolle Mäxchen gar nicht tot sehen, sondern ihn lebend in Erinnerung behalten, hat sie dem Bestatter gegenüber wohl eingeräumt, dass sie es lieber hätte, wenn sie und die Kinder sich verabschieden könnten, grad ihr Jüngster sei damit, dass Pudelchen "einfach weg" sei sichtlich überfordert. Aber die vom Briefträger beschriebenen Wunden, die aufgerissenen Augen und das viele Blut ließen ihr keine Wahl.
Nachdem nun also dieser Bestatter (ein guter, kluger Mann) Mäxchen in sein Auto getragen und dort nocheinmal begutachtet hatte, zückte er sein Handy und rief Frau Bach an um ihr mitzuteilen, dass Mäxchen in der Praxis von den Spuren dieses Unfalls befreit worden sei und nun einen friedlichen, schlafenden Eindruck mache, ihre Adresse läge ohnehin auf seinem Weg und wenn sie ihm einen Kaffee koche käme er gern noch eben rum, damit die Familie Abschied nehmen kann.
So ist es dann auch geschehen und scheinbar hat es gut getan. Schon seltsam, was ein paar Nadelstiche, Wasserstoffperoxid und Sekundenkleber erreichen können, wenn man einen so aufmerksamen Tierbestatter hat.
Ich hoffe er hat auch Pralinen bekommen
und eine Sonnenblume.
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